So baut eine Wirtschaftsförderung ihr eigenes Business Angel Netzwerk!

Startup-Förderung Best Practices Schleswig-Holstein
Die WTSH ist Dein zentraler Ansprechpartner rund um die Themen Wirtschaftsförderung und Technologietransfer in Schleswig-Holstein. Mit breit gefächertem Know-how, einem erstklassigen Netzwerk und vielfältigen Serviceangeboten können die besten Voraussetzungen für Deinen Unternehmenserfolg im echten Norden geschaffen werden.

Baltic Business Angels Schleswig-Holstein e.V. hat den Anspruch mit einem Business Angel Netzwerk, die Lücke zwischen Startups und Business Angels zu schließen, um Schleswig-Holstein auf der Gründerkarte in Deutschland fest zu etablieren.

Heute ist Dr. Annelie Tallig unser Gast bei startupdetector. Sie ist die Leiterin in der Startup-Förderung und Finanzierung der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH (WTSH).

🎥 Das Video-Interview findest du hier:

Annelie, stelle dich doch mal kurz vor!

Hallo Anne, vielen Dank für die Einladung, hier heute mitwirken zu dürfen. Mein Name ist Annelie Tallig, ich bin gebürtige Hannoveranerin, aber vor über 10 Jahren nach Kiel gekommen und bin bei der WTSH. Das ist die Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein.

Ich leite dort den Bereich der Startup-Förderung und -Finanzierung. Gemeinsam mit meinem Team bespielen wir im Grunde die Startup-Aktivitäten des Landes, wir wickeln Gründungsstipendien ab, koordinieren das Baltic Business Angel Netzwerk Schleswig-Holstein.

Außerdem bin ich im Bereich der Ausgründung von Hochschulen und Forschungszentren unterwegs. Wir vernetzen die Startups mit den KMU, wir haben einen eigenen Ideenwettbewerb und wir begleiten Startups ab der Pre-Seed-Phase.

Was sind eure erfolgreichsten Startup-Aktivitäten?

Danach fragt man ja immer sehr gerne. Ich würde die Anzahl der Pitches und die Anzahl der Investments als Erfolgsgeschichten betiteln. Vielleicht um es mit ein paar Zahlen zu untermauern: Wir haben seit 2018 knapp über 400 Anfragen an das Netzwerk bekommen, davon haben 70 Startups die Möglichkeit gehabt, bei uns zu pitchen. Wir haben außerdem eine sehr hohe Rate an Follow-up Gesprächen. Das heißt, knapp 50 Startups konnten im Nachgang mit Investoren sprechen und daraus haben sich 17 Startup-Investments ergeben. Das waren erste Finanzierungsrunden und zum Teil auch Folgerunden.

Seit 2018 haben wir knapp 7 Millionen Euro über das Netzwerk investiert und ich glaube, das ist eine Summe, die sich durchaus sehen lassen kann. Ich weiß, dass die im Moment auch wieder nach oben geht, da kann ich aber noch nicht drüber sprechen.

Um es konkret an einem Vorhaben zu machen: Wir haben 2019/20 angefangen, eine Ausgründung aus dem Fraunhofer ISIT mit zu finanzieren.

Woher und aus welchen Branchen kommen eure Startups?

Wir haben keinen ganz klaren Branchenschwerpunkt. Wenn wir uns die Startups aus Schleswig-Holstein anschauen, da kenne ich ca. 200 Startups. Da bewegen sich viele im Software-Bereich, wir haben aber auch welche im Handel und eCommerce-Bereich. Energie und Umwelt sind weitere relevante Branchen und Food, IKT und Medizin sind auch vertreten.

Ich würde aber nicht nur nach Branchen gehen, sondern wir schauen auch, in welchen Themen sich die Startups bewegen. Da sind so unsere Top 5: Digitalisierung, Nachhaltigkeit, KI, Big Data und Cloud & Edge Computing. Einen wirklichen Schwerpunkt vermag ich da aber gar nicht auszumachen.

Unsere Startups kommen aus Schleswig-Holstein, aber unser Einzugsgebiet ist mittlerweile deutschlandweit und auch aus dem skandinavischen Gebiet.

Wie kam es zur Gründung vom Baltic Business Angel Netzwerk Schleswig-Holstein?

Wir haben 2017 mit dem Netzwerk angefangen und seit 2018 gibt es den Verein, der dahinter steht. Wir haben aber als Wirtschaftsförderung in 2016 begonnen, uns Gedanken zu machen, was wir im Land noch irgendwie benötigen. Dadurch, dass wir mit Investoren immer wieder mitfinanzieren, waren uns einige Investoren bekannt, für die das Thema Vernetzung auch sehr wichtig war.

Außerdem waren uns einige Startups bekannt, die nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht haben. So waren uns beide Bedarfe bekannt und wir haben versucht, ein Netzwerk aufzubauen. Das haben wir 2017 mit uns bekannten Investoren gestartet. Da haben wir Workshops gemacht, um herauszufinden, was sie überhaupt wollen. Wie verstehen sie sich überhaupt als Business Angel?

Damit sind wir in eine Vereinsstruktur gegangen und da habe ich dann auch den Vorstand mit aufgebaut. Mittlerweile gab es auch schon kleine Wechsel und ja, so ist das Ganze zustande gekommen.

Was waren die Erwartungen der Investoren an das Netzwerk der Baltic Business Angels?

Die waren natürlich nicht homogen, sondern doch sehr unterschiedlich. Ganz klar war für die meisten Investoren, dass sie nicht nur ein reines finanzielles Engagement suchen, sondern auch mit Mentoring reingehen wollen. Das heißt, Gründern unter die Arme greifen, die nicht nur das Geld suchen, sondern für Mentoring offen sind.

Außerdem war es den Investoren wichtig, dass sie vorgescreente Startups bekommen, damit eine gewisse Qualität gesichert ist. Außerdem haben sie sich einen Austausch im Business Angel Netzwerk gewünscht.

Wie läuft das Startup-Screening ab?

Das ist ein Punkt, der sehr viele Ressourcen frisst, aber das machen wir gerne. Es ist so, dass sich die Startups über unsere Website bewerben, anhand eines Onepager und vordefinierten Fragen. Danach benötigen wir noch ein Pitch Deck und wir fordern ein 1-minütiges Team-Video ein, weil wir auch die Menschen dahinter kennenlernen wollen.

Wenn wir die Unterlagen erhalten haben, dann gehen wir in ein Screening mit unserem Screening-Komitee, welches alle 4-6 Wochen stattfindet. Dann gehen wir die Bewerbungen alle durch und gegebenenfalls notieren wir uns Rückfragen. Das heißt, dass meine Kollegin nochmal mit dem Startup Kontakt aufnimmt und das ein oder andere nachfragt.

Im Anschluss daran schauen wir anhand unserer Investoren, wo wir ein Match haben. Wir holen natürlich auch Wünsche, Anforderungen und Daten unserer Investoren ein.

Dann gibt es drei Varianten für ein Startup:
1. Das Startup erhält eine Absage, weil es nicht reicht.
2. Die Gründer schaffen es in den Startup-Pool für alle Investoren.
3. Es geht in das direkte Investoren-Matching.

Wie findet ihr Startups und wie stellt ihr sicher, dass die Startups auch wirklich für den Fundraising-Prozess bereit sind?

In Bezug auf Investor Readiness schauen wir schon in der Bewerbung da drauf, wie weit die Startups sind und was sie benötigen. Da muss man auch sagen, dass unsere Investoren sehr unterschiedlich sind. Es gibt Investoren, die stärker in das Mentoring gehen und auch nicht davor scheuen, ein Startup ein halbes Jahr zu begleiten, um es dann Investor Ready zu machen.

Es gibt aber auch andere Investoren, die ganz klar sagen, welche Kriterien erfüllt sein müssen. Zum Beispiel: Der Prototyp muss da sein oder Pilotkunden müssen akquiriert sein.

Wie finden wir unsere Startups?
Auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Wir als WTSH sind durch unsere Programme, die wir abwickeln, schon sehr früh mit Startups in Kontakt. Das heißt, wir begleiten die Gründer meistens von der Ideenphase an und irgendwann kommt vielleicht der Punkt, wo ein privater Investor von Interesse ist. Dann haben wir einen direkten Bezug und können die Investoren ansprechen.

Außerdem haben wir Kontakt mit Acceleratoren und wir sind ja auch nicht nur eine Wirtschaftsförderung, sondern haben das Thema Technologietransfer im Namen und dadurch wickeln wir die Innovationsförderprogramme des Landes ab. So sind wir mit jungen Unternehmen immer im Austausch und wir bekommen auch schon so viele Anfragen von Startups.

Wie gestaltet ihr das Matching von Startups und Investoren?

Ich denke, es ist keine Raketenwissenschaft, auch wir machen vier Matching-Events im Jahr, meistens mit 5 Startups. Wir schaffen es, 20 Pitches von eingeladenen Startups zu hören. Dadurch, dass wir auch in ganz Schleswig-Holstein agieren, suchen wir uns immer eine spannende neue Location, die etwas fürs Auge ist und einen bestimmten Mehrwert bringt.

Da laden wir Investoren aus dem Business Angel Netzwerk und Startups ein. Die Gründer bekommen ein Zeitlimit für den Pitch und dann ganz klassisches Matching. In Zukunft wollen wir in das One-to-one Matching noch stärker einsteigen und das Matching für die Investoren noch individueller gestalten.

Leitet ihr Startups und Investoren auch One-to-one im Business Angel Netzwerk weiter?

Wir leiten auch One-to-one weiter. Im Screening schauen wir schon, für welchen Investor das Thema interessant sein könnte. Es werden aber alle positiv bewerteten Startups allen Investoren zur Verfügung gestellt und gleichzeitig weisen wir einzelne Investoren explizit darauf hin.

Welche Rolle spielt Diversität bei euch?

Diversität spielt eine sehr wichtige Rolle, aber die Umsetzung ist auch für uns eine große Herausforderung. Ich würde sagen, dass wir eher ein jüngeres Netzwerk von den Mitgliedern sind, was so das Durchschnittsalter angeht. Unsere jüngsten Mitglieder sind so 33-34 Jahre alt.

Diversität versuchen wir immer wieder zu thematisieren, wir haben jüngst das erste weibliche Mitglied gewinnen können. Wir haben uns in der letzten Zeit auch mehr mit Netzwerken verbunden, wo wir uns erhoffen, dass wir mehr weibliche Angels für uns gewinnen können. Wir sind in Schleswig-Holstein auch aktiv auf der Suche nach weiblichen Business Angels und tragen die BAND Initiative mit, um mehr weibliche Angels und Gründerinnen zu unterstützen.

Welche Fragen stellen euch neue Business Angels?

Es fängt bei der Begrifflichkeit schon an, die Startup-Szene hat schon ihre eigenen Begriffe und die Business Angel Netzwerke setzen noch einen drauf. Da muss man erst mal reinfinden und dann sind es ganz klassische Fragen wie:

Wie kann man überhaupt investieren?
Was hat das für steuerliche Konsequenzen?
Wie bestimmt man überhaupt einen Unternehmenswert?

Wir versuchen die Angels, die noch nicht so in dem Thema sind, an die Hand zu nehmen. Wir holen die neuen Business Angels sehr gerne in eine Runde mit rein, damit sie mitlaufen und den ganzen Prozess erlernen.

Welche weiteren Aktivitäten schließen die Lücke zwischen Startups und Business Angels?

Neben den Matching-Events machen wir Impulsabende, auch das ist etwas, was Netzwerke üblicherweise tun. Das sind reine Veranstaltungen für Investoren, wo wir auch immer einen spannenden Speaker einladen, der einen Impuls gibt. Unser jährliches Highlight ist die Masterclass, die immer im Herbst stattfindet. Da gehen wir 1,5 Tage in ein Hotel, wo wir uns niederlassen und ganz viele Sessions haben. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel das Thema Impact Investment forciert.

Das ist nochmal eine ganz andere Art von Event, weil sich die Leute wirklich aus ihrem Alltag ziehen und ein ganz anderer Austausch zwischen den Investoren stattfindet. Wir haben da die Möglichkeit, ganz viel Input zu liefern.

Welche Tipps kannst du anderen Wirtschaftsförderungen in Deutschland im Bereich der Startup-Förderung geben?

Ich glaube, ein wichtiger Punkt bei uns war, dass wir mit uns vertrauten Investoren gestartet haben. Das heißt, wir hatten schon Zugang zu Investoren, die uns und unsere Arbeit schon kannten. Mit diesem Pool sind wir gestartet und das war schon ein sehr guter Ausgangspunkt. Es ist wichtig, dass man sich irgendwann die Frage stellt, ob das Ganze eine eigene Struktur braucht.

Dafür haben sich die Angels entschieden und diesen Weg sind wir mitgegangen. Das heißt, eine eigene Sichtbarkeit über den Verein ist sehr wichtig geworden. Man darf nicht vergessen, dass wir eine Wirtschaftsförderung sind und wir diesen Verein begleiten. Als Wirtschaftsförderung haben wir natürlich auch eine politische Komponente und es gab durchaus skeptische Stimmen, die sich gefragt haben, wie weit das Ganze unabhängig agieren kann.

Das Land Schleswig-Holstein steckt da mit drin, keine Frage, aber ich glaube, wir haben es sehr gut geschafft, es zu beweisen, dass es trotzdem funktionieren kann. Der Verein kann eigenständig agieren. Das ist ein wichtiger Punkt, wenn man so etwas als Wirtschaftsförderung aufbaut.

Mit war von Anfang an klar, dass auf Qualität geachtet wird. Sowohl seitens der Investoren und seitens der Startups. Ich glaube, man kann es sich nicht leisten, 1-2 Events mit Startups zu bespielen, die nicht den Interessen der Investoren entsprechen. Außerdem kann man es sich nicht erlauben, Investoren in ein Netzwerk zu lassen, die nicht wirklich Investoren sind.

Zu guter Letzt muss einer den Hut aufhaben und sich wirklich verantwortlich fühlen!